DER EREMIT.
(Variant.)
Wo im Thal im grünen Haine
Aus der dunkeln Kluft
Bey des Mondes düsterm Scheine
Dumpf der Uhu ruft,
Steht ein Kreutz aus grauem Steine,
Niedrig nur gebaut,
Steht es schaurig ganz alleine,
dass dem Wandrer graut.
Da stand in des Thales Mitte,
Niedrig nur und klein,
Eine strohbedeckte Hütte
Einsam und allein.
Seitwärts stand ein kleiner Garten
Voll und früchtenreich,
Rings umgeben von dem dichten
Grünenden Gesträuch.
Sanft unter dem Hüttenfenster
Durch der Blumen Schooss
Rieselte ein Bächlein, das sich
In den See ergoss,
Der am End’ des Haines strahlte,
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Wenn des Abends Gluth
Golden bald, bald röthlich mahlte
Seine stille Fluth.
Rechter Hand war die Kapelle
An den Fels gelehnt,
Deren silberhelles Glöckchen
Im Thal wiedertönt!
Hier in seiner stillen Klause
Wohnt’ ein Eremit,
Dessen Herz von Gram zerrissen
Herbe Peinen litt.
Lange lebt er hier so, lange
Hat er hier geweint,
Weil der Liebe stilles Glück ihm
Seine Gunst verneint.
Lange strebt er zu vergessen,
Dass er einsam sey,
Dass sein Liebchen ihn verbannet
Zur Einsiedeley.
Lange lebt er nur den Köhlern
In dem Hain bekannt,
Wollte nie die Welt betreten
In dem Bussgewand.
In der Welt war er ein Fremdling,
Hasst’ der Städte Glanz,
Liebte nichts als seine Schmerzen
Und den Rosenkranz.
Täglich tönte der Kapelle
Glöckchen durch das Thal
Früh und in der Mittagsstunde,
Wenn es rief zum Mahl.
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Und wenn von des Feldes Arbeit
Bey dem Abendstrahl
Kehrt der Landmann zu der Hütte,
Tönt’s zum drittenmahl.
Wenn er früh in der Kapelle
Sein Gebeth vollbracht,
Arbeitet er in dem Garten,
Bis der Mittag lacht.
Bethet wieder bis zum Abend,
Bethet Stunden lang,
Bis die Sonne hinter Bergen
In das Meer versank.
Oefters wenn die Vögel schwiegen,
Bloss der Uhu wacht,
Und der Mond heraufgestiegen
In der Mitternacht,
Tönte durch der Bäume Wipfel
Leiser Harfenklang,
Schwach begleitet von des greisen
Siedlers Klaggesang.
„Lass mich, Herr, lass mich vergehen,
Nimm mich hin zu dir;
Was soll ich auf dieser Erde?
Was soll ich noch hier?
Lass, dass mir der blasse Lethe
Schliess das Auge zu,
Dass ich in dem Grabe finde
Die verlorne Ruh.“
„Dass ich sie dort wiedersehe,
Die ich hier verlor,
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Die ich ewig, ewig liebe,
Die mein Herz erkor.
Die ich nimmer kann vergessen,
Die hier immer lebt,
Deren Bild mich selbst im Schlafe,
In dem Traum umschwebt.“
So lebt er durch sechzig Jahre
In dem stillen Hain,
War in seinem holden Thale
Immer nur allein.
Doch einst tönt’ schon durch drei Tage
Das Glöckchen nicht mehr,
Umsonst suchen ihn die Köhler,
Seine Hütt’ ist leer.
Doch er liegt in der Kapelle
An des Altars Rand,
Seine Harfe fest noch haltend
In der todten Hand.
Die Kapelle ist versunken,
Seine Hütt brannt ab,
Nichts ist mehr übrig geblieben
Als des Siedlers Grab.
Darum, wo im grünen Haine
Aus der dunkeln Kluft
Bey des Mondes düsterm Scheine
Dumpf der Uhu ruft,
Steht ein Kreutz von grauem Steine
Niedrig nur gebaut,
Steht es schaurig ganz alleine,
dass dem Wandrer graut.
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