SÄNGERS BITTE.

SÄNGERS BITTE.
Heilger Friede herrscht im ganzen Thale, Und der Morgen scheinet nicht mehr fern. Nieder am versunknen Heldenmahle Kniet der Sänger, blicket auf zum Stern. Wie die Tön’ aus Aeolsharfen gleiten, So, wie tönt der Cherubins-Gesang: Spielt der Wind in seinen Silbersaiten, Lockend aus der Harfe süssen Klang Und am Himmelsdom’ mit hellem Scheine Hängt der Mond, die Sterne helle glühn; Bleiche Statten wanken in dem Haine, Und die Wolken schnell nach Westen ziehn. Leise rauscht der Eiche hohe Krone, Die an dem versunknen Denkmahl steht, In dem Wind, der an dem Sternenthrone Schnell die Wolken dort vorüberweht. Und der Sänger redet im Gebete: „Mächt’ger Herr, Du König jeder Zeit, Der die Sterne an die Himmel sä’te, Der Mond sein glänzend Licht verleih’t, Und der oben thront im Sternenreiche, Und den Alles preis’t, was sich nur regt, Sei mir huldreich, gnädig und verscheuche Jenen Nebel, der die Zukunft deckt.“ „Lasse, Herr, mir einen Wink nur geben, Ob wir nach dem Tode ewig fort Dort in jenen Sternenreichen leben? 73 Ob ich einmal alle finde dort, Die ich lange hier auf dieser Erde, Lange schon mit bitterm Schmerz verlor? Ob ich mich mit ihnen freuen werde, Wo dich lobt der heil’gen Engel Chor?“ „Wenn ich werde, so lass, die dort funkeln, Alle Sterne kehren sich in Nacht, Lass’ des Mondes Scheibe sich verdunkeln, Die vom klaren Himmel niederlacht, Und ich will Dich immer dankbar preisen.“ Doch es bleibet Alles, wie es war, Sterne ziehn in den gewohnten Kreisen, Und der Mond, er glänzet noch so klar.“ Auf das Aug’ des Sängers sinkt ein Schlummer Sanft hernieder aus den lichten Höhn, Er vergesset allen seinen Kummer, Sieht im Traum den Himmel offen stehn, Und ein Engel steigt von Gottes Throne Nieder bis an unsrer Erde Rand, Auf dem Haupte eine Sternenkrone, Eine Palme haltend in der Hand. Und sich zu dem Sänger niederbeugend, Der sanft lächelt aus dem süssen Traum, Und mit hoch erhobnem Finger zeigend Zu der Himmel ungemessnem Raum; Dann das Antlitz auf zum Thron gewendet Sanften Wortes er zum Sänger spricht: „Hat schon dessen Güte je geendet, Schützet dich jetzt seine Allmacht nicht?“ 74 „Warum zweifelst du, ein Wurm im Staube, An des Herren unbegränzter Macht, Lehret dich zu hoffen nicht sein Glaube, Nicht, dass er nur für dein Bestes wacht? Nie lass das Vertraun zu ihm dir rauben, Du beleidigst ihn mit Zweifeln sehr, Darum geh’ und lerne besser glauben, Zweifle an dem Herren niemals mehr.“ Und der Sänger nun getrost erwachet Mild beleuchtet von der Sonne Schein, Die ersteh’nd auf ihn hernieder lachet, Vögel singen durch den Eichenhain, Und die Harfe nimmt vom Zweig er nieder, Gehet in die weite Welt hinaus, Zweifelt niemals, fraget nimmer wieder, Und sein Glaube dauert ewig aus. 74